Antifaschist trotz streitbarer Beweislage wegen tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§114 StGB) zu Geldstrafe verurteilt.

Am 18.07.2023 fand vor dem Freiburger Amtsgericht ein Prozess gegen einen Freiburger Antifaschisten statt. Die für linkspolitische Delikte zuständige Schwerpunktstaatsanwaltschaft Karlsruhe warf dem Angeklagten einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) vor und forderte eine Geldstrafe in Höhe von 110 Tagessätzen. Der Antifaschist soll im Rahmen der antifaschistischen Proteste gegen eine Demonstration von Corona-Leugner:innen einen Polizisten einer BFE-Einheit geschlagen haben. Trotz zweifelhafter Beweislage wurde der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt.

Der verhandelte Vorfall liegt rund eineinhalb Jahre zurück und spielte sich am Rande einer Demonstration des lokalen Querdenken-Ablegers “FreiSeinFreiburg” ab. Der Angeklagte war mit einer kleinen Gruppe Antifaschist:innen in direkter Nähe des Aufzugs unterwegs. Dabei wurden sie von drei BFE-Trupps gekesselt. Eine Person versuchte über eine Mauer die Umschließung zu verlassen und wurde von einem Polizisten beim Hochklettern heruntergezogen, wobei der Angeklagte schützend zur taumelnden Person wollte. Im Zuge dessen soll es bei dem entstehenden Tumult durch einen Schlag auf die Schulter des BFE-Polizisten zum vorgeworfenen tätlichen Angriff gekommen sein.
Für die Beweisaufnahme waren zwei Polizeizeug:innen vorgesehen und zusätzlich zwei weitere von der Verteidigung geladen, wobei einer krankheitsbedingt nicht erschien. 
Der erste Zeuge war der angeblich geschädigte BFE-Polizist. Dieser gab an den Schlag auf die Schulter, trotz Körperschutzausrüstung die mit mehrschichtigen Polsterungen als Schlag- und Stichschutz dient deutlich gespürt zu haben. Zudem könne er den Schlag auch sicher dem Angeklagten zuordnen, obwohl er diesen erst nach dem Schlag in seinem Blickfeld gehabt habe und seine Erinnerungen an den genauen Ablauf ziemlich verschwommen waren. Immer wieder bezog er sich dabei jedoch auf die auffällige Jacke des Angeklagten.
Im Anschluss war der Sachbearbeiter des Vorganges geladen, der zur weiteren Aufklärung nichts beitragen konnte.
Als drittes sagte ein Kollege des BFE-Polizisten aus, wobei er sich hierbei lediglich auf den vor eineinhalb Jahren verfassten Bericht bezog. Nach einigen Nachfragen des Richters gab der Zeuge zu, quasi keinerlei Erinnerungen mehr an den Vorfall zu haben. Er habe sich jedoch zur Vorbereitung der Verhandlung den damals abgefassten Bericht nochmals anschgeschaut. Hier intervenierte die Verteidigung und hakte nach, wie es sein könne, dass der Bericht erst rund drei Wochen nach der angeblichen Tat geschrieben wurde und inwiefern der Zeuge mit dem Geschädigten in der Zwischenzeit im Austausch stand. Hier antwortete der Zeuge nur zögerlich und gab an, sicherlich mit seinem Kollegen gesprochen zu haben, dass er aber nicht mehr wisse, wer zuerst den Kontakt gesucht habe oder worüber gesprochen wurde.
Zuletzt sollte ein vierter Polizist, der Truppführer der BFE-Einheit, als Zeuge gehört werden, da dieser jedoch nicht anwesend war, lies Richter Schuller seinen Vermerk verlesen, wogegen die Verteidigung Widerspruch einlegte. Es folgte eine Debatte auf juristischer Ebene inwiefern die Verlesung ausreiche oder ob ein Augenzeuge des Vorfalls zwingend in der Verhandlung gehört werden müsse. Die Verteidigung beantragte schließlich die Ladung des Zeugen und widersprach der Verwertung der verlesenen Vermerks, was vom Richter jedoch beides abgelehnt wurde. In diesem Zuge machte die Staatsanwaltschaft den “Vorschlag” den Einspruch gegen den ursprünglich ausgestellten Strafbefehl zurückzuziehen, da sie sonst die Strafforderung im Plädoyer erhöhen würde. Nach kurzer Beratung entschieden sich der Angeklagte und die Verteidigung dazu das “Angebot” nicht anzunehmen, sodass nun die Plädoyers gehalten wurden.
Wenig überraschend sah die Staatsanwaltschaft den Vorwurf als vollumfänglich erwiesen an, bewertete die Erklärungen des Angeklagten als reine Schutzbehauptung. Sie sah keine erhebliche Gefahr bei einem eventuellen Sturz von einer, laut Zeugen 1,20 m hohen Mauer und zeigte zudem keinerlei Verständnis dafür, warum der Angeklagte der Person auf der Mauer überhaupt zur Hilfe kommen wollte. Weiterhin habe sie keinerlei Zweifel an den Aussagen der Polizei-Zeugen. Für sie sei der Angeklagte ein linksextremer Straftäter, welcher das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für seine politischen Gegner nicht akzeptieren würde. Folglich forderte sie eine Strafe in Höhe von 110 Tagessätzen à 10€.
Gänzlich gegensätzlich bewertete die Verteidigung die Situation und forderte einen Freispruch für ihren Mandanten. Zwar hätten die Zeugen keine absichtlichen oder abgesprochenen Falschaussagen getätigt, sich aber völlig in der Einschätzung der Situation geirrt. Es könne sehr gut sein, dass der BFE-Polizist einen bewussten und gezielten Schlag wahrgenommen habe, was angesichts der tumultartigen Situation eine logische Schlussfolgerung sei. Dass es sich jedoch tatsächlich auch um ein absichtlichen Schlag gehandelt habe, könne jedoch durch keine der Aussagen bewiesen werden. Der geschädigte Polizist habe den Angeklagten vor dem angeblichen Schlag nicht gesehen und umgekehrt sei der Angeklagte auf die Person auf der Mauer fokussiert gewesen. Die Aussage des geschädigten BFElers würde anschließend nur gestützt durch seinen BFE-Kollegen, dessen Aussagekraft allerdings mit großer Vorsicht zu bewerten sei und durch den Vermerk des BFE-Truppenführers, für den kein ungehinderter Blick auf das Geschen möglich gewesen sei. Folglich sei der Vorwurf mitsamt Vorsatz nicht zwangsläufig sicher zu beweisen und die Verteidigung forderte nach dem juristischen Grundsatz in dubio pro reo (lat. “Im Zweifel für den Angeklagten”) einen Freispruch.
Nach fünfzehnminütiger Bedenkzeit verhängte Richter Schuller eine Strafe in Höhe von 100 Tagessätzen à 10€. Zwar sah er die Aussage des Kollegen des vermeintlich Geschädigten als schwierig zu verwerten an, was aber keinerlei Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit des geschädigten Polizisten selbst habe und dieser schlüssig von dem Vorfall berichtet hätte. Die Erklärungen des Angeklagten messe er hingegen geringerer Beweiskraft zu. Insgesamt sah der Richter keinerlei Veranlassung das Strafmaß des vorangegangen Strafbefehls zu verändern.
Die politische Staatsanwaltschaft aus Karlsruhe zeichnete sich auch in diesem Verfahren wieder durch einen starken Verfolgungswillen gegen Linke & Antifaschisten aus: Der Angeklagte wurde von ihr als gefährlicher Extremist dargestellt. Zudem drohte sie während der Verhandlung ganz offen mit einer Straferhöhung, wenn der Einspruch nicht zurückgezogen werde. Erneut bestätigte sich auch die Erfahrungen vieler vorhergehender Verfahren gegen Linke: Polizeizeug:innen wird von Richter:innen meist alles geglaubt – eine Entlastung fällt dementsprechend oft schwer. 
Uns muss klar sein: Diese Art von Verfahren sind immer auch politische Prozesse. Sie dienen der Bekämpfung der antifaschistischen Bewegung mit den mitteln des Strafrechts. Das hierfür der § 114 StGB zur Anwendung kommt ist dabei auch kein Zufall. Dieser wurde 2017 kurz vor dem G20 Gipfel in Hamburg geschaffen, um linke Proteste effektiver kriminalisieren zu können. In Freiburg hatten wir bisher die Situation, dass dieser vor Gericht in den § 113 StGB umgewandelt wurde. Dieser war viele Jahre der klassische “Gummiparagraph” um linken Protest strafrechtlich zu verfolgen. Der bundesweite Trend hin zum § 114 StGB mit seinem wesentlich höheren Strafmaß scheint nun auch in Freiburg anzukommen. Das Besondere hieran ist, dass mit § 114 StGB quasi alltägliche Situationen auf Demonstrationen zu empfindlichen Strafen führen können. Während Polizeigewalt gegen Demonstrant:innen nie verfolgt wird, reichen nun Berührungen im Gedränge aus, um Genoss:innen zu hohen Strafen zu verurteilen. Für die linke und antifaschistische Bewegung gilt es hier einen kollektiven Umgang mit der stärkeren Repression zu finden.  Getroffen hat es einen – gemeint sind aber wir alle!
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Spendenzweck: Antifa Freiburg und Suedbaden