Am 28. März fand vor dem Amtsgericht Lörrach ein Prozess gegen zwei heranwachsende Teilnehmer einer AfD-Gegendemonstration statt. Vorgeworfen wurde ihnen gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung zum Nachteil eines türkischstämmigen Rassisten, sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Vorfall ereignete sich im Zusammenhang mit dem Protest gegen einen Wahlkampfstand der AfD am 6. März 2021 in Lörrach. Ein Angeklagte wurde zu 50 Sozialstunden und der Teilnahme an einem Anti-Gewalt Training verurteilt. Der Richter machte von § 27 JGG Gebrauch und stellte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für eine Bewährungszeit von 1,5 Jahren zurück. Das zweite Verfahren in der selben Sache wurde eingestellt. Richter und Staatsanwaltschaft ignorierten und bagatellisierten im gesamten Prozess den rassistischen Hintergrund des Vorfalls.

Im Rahmen ihres Wahlkampfes zur Landtagswahl 2021 führte die AfD einen Wahlkampfstand am 6. März 2021 in Lörrach durch. Lokale Antifaschist:innen organisierten dagegen Protest. Ein anwesender türkischer Rassist [1] provozierte und beleidigte einen der anwesenden Antifaschisten (POC) mit rassistischen Sprüchen und ging auch dessen Mutter an. Die zwei engagierten Angeklagten drängten den Störer ab. Im dadurch entstehenden Handgemenge wurde der Rassist verletzt und musste stationär behandelt werden. Die beiden Angeklagten wurden nach der Auseinandersetzung von der Polizei festgenommen. Die für linkspolitische Delikte zuständige Schwerpunktstaatsanwaltschaft aus Karlsruhe forderte eine Jugendstrafe von einem Jahr, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, sowie Auflagen zur Schadenswiedergutmachung und Besuch eines Anti-Gewalt Trainings. Als Nebenkläger trat der Rassist auf.

Im Verlauf des Prozesses versuchte die Staatsanwaltschaft den Vorfall zu entpolitisieren. Die rassistischen Sprüche und Beleidigungen des Störers gegenüber den Antifaschisten wurden relativiert. Die Verteidigung musste diesen Kontext immer wieder herstellen und den Saal daran erinnern, dass die Tat als Reaktion auf den offenen Rassismus des vermeintlichen “Opfers” zu sehen ist. Zudem versuchte sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Nebenklage die beiden Antifaschisten als besonders gefährliche Kampfsportler darzustellen. Die Staatsanwaltschaft unterstellte dem später Verurteilten eine schädliche Neigung und behauptete, dass der Schlag nur “durch Zufall nicht zum Tode” des Geschädigten führte. Eine Behauptung, die weder durch den Sachverständigen der Freiburger Uniklinik, noch durch die Krankenakte des Rassisten gestützt wurde.

Mit besonders großem Belastungseifer trat ein lokale Staatsschutzbeamter auf. So schilderte er in eindringlichen Worten, wie er gesehen haben will, dass der „Geschädigte“ nach dem gesetzten Schlag regelrecht „durch die Wucht vom Boden abhob“. Noch in der Luft sei dann eine „riesige Blutfontäne“ zu sehen gewesen. Der Rassist landete dann „wie ein Brett“ auf dem Asphalt und blieb dort regungslos liegen. Weiterhin behauptete er in seiner “kompletten Karriere” keinen eindrücklicheren Schlag gesehen zu haben. Die Bilder würden ihn noch immer verfolgen. Wie sich später herausstellte findet sich der gleiche Wortlaut bei einem von diesem Staatsschützer vernommenen Zeugen: Dem Begleiter des geschädigten Rassisten…

Der Staatsschutzbeamte ist dabei kein Unbekannter: Seit einigen Jahren schon strengt er zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen lokale Antifaschist:innen an, teilweise auf Anregung lokaler AfD-Politiker und Neonazis. Die Verfahren wurden bisher alle eingestellt.

Im Plädoyer kritisierte die Verteidigung sowohl die Verkennung des rassistischen Kontextes, als auch die Ermittlungen der Polizei und zweifelte die Aussagekraft der Polizeizeugen an. Demnach sei hinlänglich bekannt, dass von der extremen Rechten eine enorme Gefahr ausgehe, wie auch die Biografie des Angeklagten zeige. Weiter gehöre es zur “Grundschule des Antirassismus”, dass die Argumentation, “der Geschädigte habe sich nicht rassistisch geäußert haben können, da er selbst einen Migrationshintergrund habe” falsch sei. Solch eine Argumentation verkenne eindeutig die große Gefahr die von türkischen und anderen “ausländischen” Rassist:innen ausgehe. Als “grober Schnitzer” in den Ermittlungen wurde zudem die ausbleibende Vorlage von sog. Wahlbildern bezeichnet. Den Zeugen wurden bei den Vernehmungen lediglich ein Bild des Angeklagten vorgelegt. Dies hatte vor dem Hintergrund des großen Ermittlungseifers gegen den Angeklagten und seine Familie einen besonderen Beigeschmack, schien den Richter jedoch nicht weiter zu beeindrucken.
Daneben erhob die Verteidigung Zweifel an den Aussagen der Polizeizeugen, die aufgrund teils auffallend gleichem Wortlaut unglaubwürdig und an anderen Stellen beinahe widersprüchlich seien. So erinnerte sich ein Staatsschutzbeamter an “den eindrücklichsten Schlag seiner Karriere”. Andere Zeugen hingegen konnten einen Schlag nicht ganz sicher bestätigen. Zudem konnte der vorgeworfene Tritt gegen den Kopf des Rassisten widerlegt werden. Auf den Bildern der weißen Sneakers vom Tattag seien keinerlei Spuren gefunden worden, was angesichts der scheinbaren vorausgegangen “Blutfontäne” unrealistisch sei.
Der Vorwurf der gemeinschaftlich begangenen schweren Körperverletzung lies sich letztendlich auch nicht aufrechterhalten. Ein vorgespieltes Video zeigte eindeutig, dass die beiden Beschuldigten unabhängig voneinander handelten, da das “Opfer” wiederholt auf die Gruppe der Antifaschist:innen zuging, um diese zu provozieren.

Nach der 6-stündigen Verhandlung rückte der Richter in seinem Urteil (Einstellung, Androhung Jugendstrafe) zwar deutlich von den Forderungen der Staatsanwaltschaft ab, die Tat konnte er sich aber – aufgrund der fehlenden Vorstrafen des Angeklagten – nicht erklären. Das sie etwas mit dem Rassismus des “Opfers” gegenüber einem POC zu tun haben könnte, kam ihm nicht in den Sinn.

Das Urteil stellt den vorläufigen Höhepunkt einer ganzen Reihe von Repressalien gegen südbadische Antifaschist:innen [2] dar. Dem lokalen Staatschutz gelang im Verbund mit der politischen Schwerpunktstaatsanwaltschaft Karlsruhe und einem den rassistischen Kontext der Tat ignorierenden Richter erstmals eine Verurteilung von Antifaschisten.

Im Kontext des Falls von besonderem Interesse: Einer der Angeklagten ist Betroffener einer rassistisch motivierte Angriffsserie auf eine Familie in Friedlingen (Weil am Rhein) durch Lörracher Neonazis [3]. Das Verfahren gegen die führenden Köpfe der Neonazi-Gruppe wurde damals trotz erdrückender Beweislast klammheimlich eingestellt. Die Polizei schützte die Familie mehr schlecht als Recht. Erst durch antifaschistische Interventionen wurde dem Treiben der Faschisten Grenzen gesetzt.

Es bleibt dabei: Im Kampf gegen Faschisten ist auf den Staat und seine Justiz kein Verlass! Unterstützt die angeklagten Antifaschisten!


Presse

RDL Bericht: “Ein Prozess in Lörrach und sein Kontext”


Spendenkonto für antifaschistische Aktivist:innen:

Inhaber: Rote Hilfe OG Freiburg
IBAN: DE47 4306 0967 4007 2383 64
BIC: GENODEM1GLS
Spendenzweck: Antifa Freiburg und Suedbaden


[1] Im Nachgang wurde über das Geschehen in einer türkischen extrem rechten Zeitschrift berichtet. Der Verdacht liegt Nahe, dass es sich bei dem “Opfer” um einen türkischen Faschisten handelt. Auch wenn dies von diesem vor Gericht abgestritten wurde.

[2] Zahlreiche (eingestellte) Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen, Verlust der Ausbildungsstelle durch Intervention des Verfassungsschutz, ständige Polizeikontrollen, Bedrohungen & rassistische Sprüche durch lokale Polizist:innen und Faschist:innen

[3] https://jungle.world/artikel/2016/31/rassisten-vor-der-haustuer