Am 13. Oktober wurde ein weiteres Mal gegen einen Teilnehmer der “Squatting Days”, welche im Oktober 2019 stattfanden, ein Prozess geführt. Die politische Staatsanwaltschaft aus Karlsruhe in Person von Herr Graulich versuchte ein weiteres Mal den friedlichen Protest gegen Entmietung und Gentrifizierung zu kriminalisieren. Der Prozess lief im gewohnten Muster. Staatsanwalt Graulich bezichtigte den Angeklagten der Mitverantwortlichkeit für Brandanschläge auf Vonvia-Fahrzeuge und lies es auch dieses mal nicht aus abermals den Verfassungsschutz-Bericht, in dem Freiburg als Hochburg “linksextrimistischer Kriminalität” beschrieben wird, zu zitieren. Dass es bei dem Verfahren nur um die Räumung von einem Hausdach ging schien er dabei absichtlich zu vergessen. Es zeigte sich erneut, dass es der Staatsanwaltschaft um mehr geht, als um die Verfolgung einzelner geringfügiger Straftaten. Es geht darum Einzelne als Exempel für die gesamte Linke Freiburgs zu verurteilen. Einzelne sollen hart bestraft werden, um andere abzuschrecken. So forderte er am Ende auch 90 Tagesätze zu jeweils 40 Euro Strafe. Durch einen Antrag der Verteidigung zu Überprüfen, ob der Hauseigentümer Maximilian Kehl aber überhaupt berechtigt war den Strafantrag zu stellen, wurde das Urteil noch nicht gesprochen, sondern ein zweiter Termin in 2 Wochen angesetzt. Den Höhepunkt des Verfahrens bildete das politische letzte Wort des Angeklagten. Dieses sei hier dokumentiert:

Prozesserklärung des Angeklagen

Ich werde jetzt eine politische Erklärung zur Verhandlung um die Besetzung der Kronenstraße 21 abgeben. Mir wird im Zuge dessen vorgeworfen widerrechtlich in das Eigentum von Maximilian Kehl eingedrungen zu sein und dadurch den Hausfrieden eines – wohlgemerkt über ein Jahr leerstehenden – Gebäudes gestört zu haben. Wirft man jedoch einen Blick auf den gesellschaftlichen Umgang mit Wohnraum, sowie die Geschichte des Hauses in der Kronenstraße 21, stellt sich mir die Frage an welcher Stelle der Hausfrieden tatsächlich gebrochen wurde.

Geschichte Kronenstraße
Die Problematik rund um die Kronenstraße 21 begann im Jahr 2017, als Maximilan Kehl das Haus kaufte und anschließend mit der Entmietung begann. Schilderungen ehemaliger Mieter*innen zufolge versuchte der neue Eigentümer die Mietparteien durch einen angeblichen Eigenbedarf und verschiedenster Schikanen, wie Drohbriefe, Observierungen und Abmahnungen aufgrund von Banalitäten, zum Auszug zu zwingen. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit der Mieter*innen gegen den Eigentümer, um in ihrem zu Hause bleiben zu können. Als am Ende jedoch eine Erhöhung der Miete angedroht wurde, die sich die Bewohner*innen nicht leisten konnten, blieb ihnen nichts anderes übrig als eine Abfindung anzunehmen und auszuziehen. Auf diese Weise verloren sämtliche Mietparteien ihr zu Hause und die Kronenstraße 21 steht seit Mai 2019 leer. Ehemalige Mieter*innen, die das Haus teilweise schon seit 40 Jahre bewohnten, berichteten von einer üblen, typischen Entmietung, sowie Gerüchten um die zukünftige Nutzung für Büroräume und Luxuswohnungen. Hier wurden innerhalb von zwei Jahren sämtliche Nutzer*innen des Hauses, von jungen Familien bis älteren Bewohner*innen, unter großem Druck aus ihrem gewohnten lokalen und sozialen Umfeld gerissen, nur um die Immobilie für den Eigentümer lukrativer zu machen. Wurde also nicht bereits dadurch das friedliche Zusammenleben einer Hausgemeinschaft gestört? Gerade wenn man sich vor Augen führt welchen Zweck Häuser eigentlich erfüllen sollten. Ist im Vergleich dazu das friedliche Eindringen in ein leerstehendes Gebäude nicht harmlos? Leider ist es jedoch kein Zufall was in der Kronenstraße 21 geschah, vielmehr steckt dahinter ein tiefverwurzeltes Problem.

Wohnraumproblematik
Die Thematik rund um Gentrifizierung, steigende Mieten, Leerstand und Luxussanierungen ist seit vielen Jahren immer wieder im öffentlichen Diskurs aufzufinden und betrifft alle von uns. Dabei geht es um das menschliche Grundbedürfnis nach einem sicheren und bezahlbaren Wohnraum, wobei die Erfüllung dieses Bedürfnisses für immer mehr Menschen zur Herausforderung wird.
Wirft man einen Blick auf die Mietpreise in Freiburg, lässt sich zwischen 2012 und 2019 eine Steigerung um über 20% feststellen, während die Reallöhne im selben Zeitraum nicht ansatzweise in gleichem Maße gestiegen sind. Dies hat zur Folge, dass die Mietbelastung immer weiter steigt und 2018 in Deutschland bei durchschnittlich gut 27% lag. Besonders betroffen sind von dieser Entwicklung Geringverdienende, die einem Zeit-Artikel zufolge in Freiburg 41% ihres monatlichen Einkommens für ihr Grundbedürfnis Wohnen ausgeben müssen. Außerdem führen die steigenden Mietpreise dazu, dass immer mehr Menschen von Armut bedroht sind: Einem Gutachten zufolge haben derzeit über eine Million Haushalte nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum des Hartz-IV-Satzes zur Verfügung. Derartige Armut ist neben Trennungen, Krankheiten und plötzlichen Jobverlusten der häufigste Risikofaktor in die Wohnungslosigkeit abzurutschen. Doch auch die explodierenden Mietpreise haben laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAGW) gravierende Auswirkungen: Zwischen 2007 und 2017 hat sich die Zahl der erwerbstätigen Wohnungslosen verdoppelt, was bedeutet, dass ihr Einkommen nicht für die Miete ausreicht. Gleichzeitig stehen vor diesem Hintergrund viele Wohnungen leer, werden luxussaniert oder als Ferienwohnungen noch teurer vermietet. Auf diese Weisen versuchen Eigentümer*innen möglichst viel Profit aus Immobilien abzuschöpfen. Die Besetzung der leerstehenden Kronenstraße 21 war ein Versuch auf das zugrunde liegende, politische Problem aufmerksam zu machen: Nämlich wofür ein Haus eigentlich da ist und welchen Zweck es in unserer Gesellschaft zu erfüllen hat? Ist es die Befriedigung eines unserer Grundbedürfnisse, die für viele immer unsicherer wird? Oder die Möglichkeit für einzelne Wohlhabende immer mehr Profit zu erwirtschaften?

Ökonomie des Bodens
Wir alle wissen, dass in unserer Gesellschaft derzeit das Gewinnstreben von einigen Wenigen über der bedarfsorientierten Nutzung von Immobilien steht. Diese Priorisierung von Wachstum stellt für immer mehr Menschen ein zunehmendes Problem dar und führt zu Verdrängung, Verarmung und Wohnungslosigkeit. Doch muss dies zwangsläufig so sein? Bei Forderungen nach einer Umgestaltung des Wohnungsmarkes oder Enteignungen wie derzeit in Berlin, bekommt man häufig zu Hören, dass dies nicht so einfach machbar sei und der Staat nicht in den Markt eingreifen könne. Wirft man jedoch einen Blick auf strukturelle Eigenschaften des Wohnungsmarktes fällt auf, dass hier besondere Ausgangspunkte für die Verwertung vorliegen: Damit Wohnraum profitorientiert genutzt werden kann, also ein Grundbedürfnis zur Ware wird, muss die zugrundeliegende, wohlgemerkt begrenzte Naturressource Grund und Boden in Privateigentum überführt werden. Dies bietet den Eigentümer*innen die Möglichkeit Mietzahlungen als Bedingung für Nutzungsrechte zu stellen. Dabei ist sowohl für das Zustandekommen als auch für die Ausgestaltung dieses juristischen Verhältnisses staatliches Handeln vorausgesetzt. Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob der Staat regulierend eingreift, sondern viel mehr zu wessen Gunsten dies geschieht. Setzt er sich für die Gewinnmaximierung der wenigen Eigentümer*innen oder für eine gemeinwohl- und bedarfsorientierte Nutzung von Immobilien ein? Auch wenn letzteres in aktuellen Debatten meist als unmöglich angesehen wird, stellte das Bundesverfassungsgericht bereits 1967 in einem Beschluss folgendes fest (ich zitiere):
„Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. Der Grund und Boden ist weder volkswirtschaftlich noch in seiner sozialen Bedeutung mit anderen Vermögenswerten ohne weiteres gleichzustellen; er kann im Rechtsverkehr nicht wie eine mobile Ware behandelt werden.“
Ein Blick auf die Entwicklung der Bodenpreise zeigt jedoch, dass die Politik den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes nicht nachkommt. In Auftrag des ehemaligen Münchner Oberbürgermeisters und Bundesministers Hans Jochen Vogel bezifferte der Münchner Gutachterausschuss die Steigerung des Bodenpreises zwischen 1962 und 2015 in der BRD auf rund 2000%, in der Großstadt München gar um knapp 5800%. Es wird deutlich, dass die Ware Wohnraum einige Besonderheiten mit sich bringt und die derzeitigen Spannungen auf dem Boden- und Wohnungsmarkt entsprechend beantwortet werden müssen, wenn die Probleme ernsthaft angegangen werden sollen. Forderungen wie „bauen, bauen, bauen“ oder Rufe nach mehr sozialem Wohnraum, können das Problem nicht an der Wurzel fassen. Im Gegenteil, es müsste darum gehen Boden und Immobilien in öffentliche Hand zu geben und kollektiv zu verwalten.

Besetzung
Mir ist dabei durchaus klar, dass mit der Besetzung der leerstehenden Kronenstraße 21 diese Problematik nicht einfach so durchbrochen werden kann. Auch ist mir bewusst, dass bspw. eine mögliche alleinige Enteignung des Eigentümers Maximilian Kehl realitätsfern und aus seiner Sicht auch ungerecht gewesen wäre.
Allerdings müssen wir uns auch vor Augen führen, dass genau hier langjährige Mieter*innen, prekäre Studierende und Familien mit Kindern aus ihrem privaten Lebensumfeld gerissen wurden. Dass das Haus nun mittlerweile rund eineinhalb Jahre leer steht und seinen ureigenen Zweck massiv verfehlt. Durch die Besetzung wurde symbolisch genau auf diese Problematiken aufmerksam gemacht und andere Nutzungsmöglichkeiten hätten diskutiert werden können. Ideen und Möglichkeiten gibt es zu Hauf und der Bedarf ist sehr vielseitig: Wäre es nicht besser das Haus als Unterkunft für Obdachlose zu nutzen als es leer stehen zu lassen? Oder als Frauenhaus, die besonders aktuell in der Corona-Krise einen massiven Zulauf erfahren? Als Unterkunft für Geflüchtete, die mittlerweile im neuen Elendslager Moria auf Lesbos ausharren müssen? Oder auch als Immobilie für verschiedenste soziale Projekte, in denen Jugendliche eigenständig handeln und Verantwortung übernehmen können?
Auf der anderen Seite hätte durch die Besetzung eine Debatte über die kollektive Aneignung von Immobilien angestoßen werden können. Eine Debatte, die vorher geschilderte Missstände aufgreift und die zugrundeliegenden Verhältnisse in Frage stellt. Zwar sind die vielschichtigen Probleme rund um Wohnraum allen bekannt, über das eigentliche Problem wird jedoch beinahe nie gesprochen und reale Verbesserungen sind lange nicht in Sicht. Da diese drängenden Probleme
derzeit sehr viele Menschen beschäftigen und teilweise in existenzielle Notlangen bringen, hätten sich wohl viele Mieter*innen von einer grundsätzlichen Debatte angesprochen und vor allen Dingen auch in ihrer Situation gehört und verstanden gefühlt.

Repression
Dass die Politik hier auf ganzer Linie versagt und sich Aktivist*innen wie ich für Menschen, die auf die Nutzung von Immobilien als Wohnraum angewiesen sind, einsetzen müssen, ist ein weiterer Teil des großen Problems. Dass das Projekt der Besetzung der Kronenstraße 21 nach nur einem Tag und ohne auch nur einem Gespräch mit dem Eigentümer geräumt wurde, war so traurig wie vorhersehbar. So war es leider nicht möglich Kontakte in die Nachbarschaft aufzubauen, die uns zu großen Teilen mit Essen, Plakaten und Glückwünschen herzlich empfangen hatte. Dass jedoch genau hier eine grundsätzliche Diskussion und ein nachbarschaftlicher Austausch über die Gestaltung von Wohnraum nötig gewesen wäre, zeigt der Kauf des Hauses in der Kronenstraße 19 durch Maximilian Kehl im Januar 2020. Den Bewohner*innen droht nun ebenfalls Entmietung und Verdrängung. Die Luxussanierung des Gebäudes wird wohl nur eine Frage der Zeit sein. Gerade mal ein paar Meter weiter verschärft sich also das Problem um bezahlbaren Wohnraum erneut. Statt dem eigentlichen Problem, dem Privateigentum an Grund und Boden und den daraus resultierenden Gewinnmöglichkeiten entgegen zu wirken, werden nun Aktivist*innen wie ich, die sich für eine kritischen Diskussion und ein Umdenken in der derzeitigen Wohnraumpolitik einsetzen, kriminalisiert. Dass auf die kreative und gewaltlose Protestform des Besetzens von leerstehendem Wohnraum mit einer unmittelbaren Räumung und einem negativen medialen Echo entgegnet wird, macht das Ausmaß des Problems unübersehbar deutlich. Das absurd hohe Polizeiaufgebot, überzogene Strafforderungen sowie die Gesetzeslage, die Profitmaximierung vor die Befriedigung von Grundbedürfnissen stellt, macht die Position, die von Seiten der staatlichen Politik bei der Wohnraumfrage eingenommen wird, für alle klar ersichtlich. Zwar mag die Tat des Hausfriedensbruchs durch eine Besetzung extrem anmuten, stellt sie doch lediglich eine radikale Form des Umdenkens über die Nutzung von Wohnraum dar. Und zwar eine Nutzung, die sich an den Bedürfnissen aller Menschen orientiert und nicht nur für einige Wenige profitabel ist.